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Zackes Textedition 16:
Ob es eine spezielle Internet-Literatur gibt, interessiert mich nicht. Es gibt genug
überflüssige Bücher und jeder kann seinen Schrott in's Web stellen. Ich schreibe
einfach nur Geschichten.
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15.01.2004
Corporate Identity:
Es war wie der Einmarsch einer ausländischen Streitmacht. Eine nicht enden wollende
Kolonne von Gülleautos fuhr nicht besonders schnell durch unsere Straße. Alle sahen
gleich aus. Komplett in elegantem Dunkelrot und auf den Tanks stand "Blow & Suck Inc." in
goldenen Buchstaben. Manche Fahrzeuge hatten einen Anhänger, dem nur das Fahrerhaus
fehlte.
Das ging bis in den frühen Nachmittag so. Die Kolonne stockte nie. Die Nachbarn erzählten
verschiedene Gerüchte. Es hätte schon in der Nacht angefangen, als noch kein Verkehr war.
Nach einer anderen Version fuhren Panzer der Kolonne voraus. Berlin solle auf diese Weise erneut
geteilt werden. In den Nachrichten gab es keine besonderen Vorkommnisse, obwohl man das
Geräusch der Motoren selbst in der Wohnung noch etwas hören konnte.
Die Leute von der anderen Straßenseite kamen nicht zur Arbeit. Sie kamen mit ihren geparkten
PKWs nicht weg. Anfänglich versuchte niemand, die Straße zu Fuß zu überqueren.
Die Abstände zwischen den Fahrzeugen war zu gering. Mit der Zeit wurden sie größer
und die Kolonne fuhr immer langsamer. Schließlich blieb die ganze Kolonne in zweiter Reihe
stehen.
Alles war perfekt organisiert. Zuerst sprangen die Fahrer mit Anhänger heraus, liefen
gleichzeitig nach hinten, koppelten gleichzeitig den Anhänger ab, stiegen gleichzeitig wieder
ein und setzen ihr Fahrzeug ein paar Meter nach vorne, genau in die Mitte einer extra
größer gelassenen Lücke. Danach sprangen alle Fahrer synchron aus dem
Führerstand. Dazu war kein Befehl zu hören. Vielleicht geschah dies per Funk oder mit
einem Instinkt, wie ihn die Zugvögel für ihre Formationsflüge benutzen.
Alle Fahrer, aber auch die Beifahrer, sahen gleich aus. Alle hatten dunkelrote Overalls mit dem
goldenen Schriftzug an. Dazu schwarze Gummistiefel, ein schwarzes Hemd und dunkelrote Basecaps mit
dem bekannten Logo. Außerdem dunkelrote langstulpige Handschuhe, bei allen an der gleichen
Stelle am Bund eingehängt und bei allen war die Latztasche gleich ausgebeult. Alle hatten mehr
oder weniger das selbe Blow and Suck Gesicht. Vielleicht waren sie geklont, vielleicht waren es in
Wirklichkeit Roboter.
Synchron machten Sie sich an ihren Fahrzeugen zu schaffen, aber jedes Haus, dort auf der anderen
Straßenseite, erforderte eine individuelle Behandlung. Sie legten dicke Spiralschläuche
in die Keller der Vorderhäuser. Nicht überall war dies durch eine Lichtöffnung
möglich. Oft mußten sie mit langen Verbindungen Umwege durch den Hauseingang machen.
Bald setzte ein dumpfes Dröhnen ein, als die Pumpen in Betrieb genommen wurden. Es war um
einiges durchdringender als es die Kolonne fahrend von sich gegeben hatte. Es hielt die Nacht
über an und ging am nächsten Tag weiter. Auch am übernächsten. Inzwischen
weiß niemand mehr, wann alles angefangen hat. Das Personal von Blow and Suck ist kaum
ansprechbar. Fragt man etwas, heißt es meistens: "Rufen Sie unseren Service an". Man bekommt
die Nummer, die auch auf den Fahrzeugen steht. Man erreicht nie jemand, es ist dauernd besetzt. Die
Site www.blowsuck.com hat offenbar nichts mit diesem Unternehmen zu tun. Fragt man, wie lange es
noch dauert, sagen diese Kalfaktoren: "Bis wir fertig sind". So dröhnt es eben ständig
und niemand weiß, was die genau machen.
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18.01.2004
Das Regime der Ratten:
An einem Morgen öffnete ich das Fenster zum Lüften und rief: "Wir werden von
Ratten regiert!" Das hatte nichts zu bedeuten. Es klang einfach nur gut, da es durch den Widerhall
an den Wänden verstärkt wurde. Ich sah nicht, wie sich tatsächlich ein paar Ratten
bei den Müllkontainern zu schaffen gemacht hatten. Sie horchten kurz auf, als seien sie
ertappt worden. Als ich mich vom Fenster abwandte, sah ich zufällig ihre Schatten
davonhuschen.
Ich wußte nicht, daß es Ratten auf unserem Innenhof gibt und achtete nun besonders
darauf. Jedoch nur eine Weile, weil ich in Hof keine Ratten mehr sah. Ich sah welche bei anderen
Gelegenheiten. Ich fand ihre Gesichter sogar putzig. Einmal saß eine vor einem Hauseingang und
rannte nicht sofort weg. Ein anderes Mal trat ich fast in einen Hundehaufen, der aber auswich. Wie
schön das doch wäre!
Ich machte mir keine Gedanken über Ratten, bis ich eine sah, die etwas zu groß war.
Gehört hatte ich davon. Angeblich würden sie sich mit Kaninchen und kleinen Hunden
paaren. Doch diese hatte weder lange Ohren noch bellte oder schnurrte sie und ich glaubte nicht an
sowas. Groß war sie aber und genug zu fressen gibt es überall, nicht nur in unserem
Hof.
Ich sah öfter zu große Ratten. Ich muß mich daran gewöhnt haben, daß sie
immer größer wurden. Manchmal hörte man sie hinter sich tapsen und wenn sie wie der
Blitz zwischen irgend welchem Gerümpel verschwanden, klang es, als ob das Wohlstandsgelumpe
gerade eben da hingeschmissen worden wäre.
Irgendwann ging mit einem schabenden Geräusch ein Kanaldeckel auf. Eine Ratte hob ihn an,
flitzte heraus und der Deckel fiel hinter ihr mit einem dumpfen Schlag zu. Nun wußte ich,
warum manche von Ihnen einen kurzen Schwanz hatten.
Mittlerweile ware diese Tiere so groß, daß sie niemandem ausweichen mußten. Den ein
oder anderen auf sie gehetzten Hund räumten sie für immer und spurlos aus dem Weg. Sie
stolzierten auf den Trotoirs, als ob es ihre wären. Sie krochen in Horden aus U-Bahnstationen
an's Tageslicht. Sie hatten längst den Zweck dieses Fortbewegungsmittels für sich
entdeckt und reservierten ganze Züge für sich. Später übernahmen sie den
kostenlosen Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs in Eigenregie, doch dies dauerte noch
etwas.
Wenn man sie betont höflich und anständig behandelte und nicht diskriminierte, benahmen
sie sich relativ zivilisiert. Zumindest die erste Zeit. Später nahmen sie sich alles, ohne zu
fragen. Man sah sie vollgefressen und rülpsend viele pralle Einkaufstaschen aus den
Kaufhäusern schleppen. Morgens stolperten sie besoffen aus Kneipen. Grölend entwichen sie
Fußballstadien und Konzerthallen, wo immer mehr cooler Rat-Hop und Ambient Rat and Beat
gespielt wurde. In Parks fraßen sie Rentner ohne künstliches Hüftgelenk und andere,
die aufgrund der sozialen Sparzwänge nur mit den billigsten Geh-Hilfen ausgestattet waren.
Bald sah man nur noch Ratten und überall Rattenkot. Hunde gab es seit längerem keine
mehr. Niemand machte den Dreck weg.
Es gab immer weniger Häuser mit Türen. An manchen Stellen gab es runde Durchbrüche
in Mauern, um Wege abzukürzen. Die Zahl der großen Tiere nahm beständig zu. Es
entstand ein Gewusel, wie früher auf den Unifesten, wo man mit einem dauernd kleckernden
Bierbecher von der Aula bis zur Mensa statt zwei Minuten eine halbe Stunde brauchte. Es entstand
ein klebriges Gewusel. Eine schleimige Mischung aus Flüssigkeiten, Exkrementen und in ihrer
Bewegung gehinderten Körpern.
Das Gewusel stieg wie der Pegel einer Flut nach oben. Jedesmal, wenn die Höhe eines weiteren
Stockwerkes erreicht war, wurden die Fenster eingedrückt und die Masse quoll durch die Etagen.
Gebäude stellten keine abgegrenzten Innenräume mehr dar, sondern waren Hindernisse. Immer
mehr stürzten ein. Die Masse erstickte jegliche Schmerzschreie der Opfer rein akustisch. Was
verletzt oder tot oder sonstwie verdaubar war, wurde sofort aufgefressen. Die
Christbaum-Spitze vom Langen Alex fehlte, der Funkturm stand noch, war aber nach unten
gebogen. Die Skyline Berlins wurde immer flacher. Die berühmte Waschmaschine, das
Bundeskanzleramt, war weg.
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16.01.2004
Warten auf den Tod:
Sie hat lange nach einem angemessenen und nicht zu aufwendigen Appartment gesucht. Es
gibt eine spärliche Kochnische und das Klo ist im Schrank. Das Bad gibt es nur als Bodylotion.
Der Raum ist nicht sehr groß und bis auf ihr Bett leer. Sie hatte sich ein Allkoven
gewünscht, dann sähe es so aus, als wäre sie nicht mehr da.
Sie hat die Vorhänge immer zu und liegt den ganzen Tag im Bett. Sie macht nicht auf, wenn es
klingelt. Sie geht nie weg. Sie kennt niemand und niemand kennt sie. Ihr Name an der Tür und
am Briefkasten ist unleserlich. Wird von ihr gesprochen, heißt es nur, die. Das versteht
jeder.
Auch sie weiß nicht, wer sie ist oder wer sie früher war. Sie denkt nicht zurück,
selbst wenn sie sich noch erinnern könnte. Vielleicht ist sie nie geboren worden. Sie wartet
einfach nur. Das tut sie schon lange.
Eher zufällig und ohne Grund entdeckte sie, daß die Zeit vergeht, egal was man tut.
Seither kann sie ohne geringste Anstrengung warten. Für sie hat die Zeit ihre Länge
verloren. Sie atmet kaum, keine Kraft regt sich in ihr. Sie läßt alles sein. Ein
hingeschmissenes Handtuch könnte nicht absichtsloser daliegen.
Mittwochs schminkt sie ihr glattes Gesicht blasser als es ist. Falten wollen sich nicht einstellen.
Die Augenbrauen malt sie kräftig nach. Sie geht auf den Markt, kauft Vitamine und anderes. Sie
will nicht am Mangel sterben.
Abends stellt sie ein Sterbelichtlein in's Fenster, von dem am Morgen nichts mehr übrig
ist.
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05.01.04
Der Bildhauer:
Er hatte schließlich alle notwendigen Techniken gelernt. Zusammen mit dem Meister
hatte er sogar mehrere perfekte Kugeln unterschiedlicher Größe den Material abgetrotzt.
Schließlich sagte der Meister: "Denke nicht zu viel. Mache einfach. Alles was Du aus dem Stein
holen kannst, war schon immer drin! - Du brauchst nur das weg hauen, was nicht dazu gehört!"
Den Spruch kannte er schon, doch da der Meister ihm wirklich einiges gut beigebracht hatte, nahm er
ihn von ihm an, als ob er damit das letzte noch fehlende Geheimnis erhalten hätte.
Außerdem kommt es nur auf das Verstehen an, dachte er.
Er bestellte gleich einen größeren Block und ließ ihn da aufstellen, wo er daran
arbeiten wollte. Er ertappte sich bei Überlegungen, was er alles aus diesem Block machen
könnte und wie schwierig es doch wäre, definitiv zu sagen, was tatsächlich in diesem
Stein drin ist. Wenn er das falsche frei schlägt, kann dies womöglich jeder sehen.
Vielleicht sogar Leute, die von Kunst keine Ahnung haben.
Er dachte wieder an den Spruch seines Meisters. Irgendwas kommt immer dabei raus, selbst wenn es
völlig abstrakt ist. Er haßte abstrakte Formen. Zum Beispiel Kugeln ohne geringste
Abweichung von der Idealform oder perfekt geformte Übergänge zwischen Viel und Wenig,
zwischen Rund und Eckig. Am besten sieht ein völlig unbearbeiteter Stein in einem Bach aus.
Wahre Kunst wäre es, diesen nochmal aus einem anderen exakt gleich herauszuarbeiten. Kunst ist
das Ergebnis von perfektem Handwerk, ohne daß man es sehen kann. "War es nicht das, was der
Meister sagen wollte?"
Er fing an und schlug relativ große Ecken ab. "Wozu brauche ich die?" Er schlug weiter
große Stücke ab. Darum hatte er ja einen größeren Stein bestellt. Das ging eine
Weile so. "Kann es sein, daß ich den Stein nur zerteile ohne daß was daraus wird? Gibt es
vielleicht doch leere Steine?" Er wollte es wissen. Bald hatte er es geschafft. Vor ihm lag ein
Stück, das sich kaum von denen vielen unterschied, die auf dem Boden lagen. Er schmiß es
hinterher. "Nun weiß ich, daß in dem großen Brocken nur kleinere waren!"
Er besorgte sich Kunstharzkleber und war lange damit beschäftigt, den Block zu seiner
ursprünglichen Gestalt zusammenzukleben. Seine erste Ausstellung wurde ein großer Erfolg.
Sie bestand nur aus geklebten Rohblöcken und in jedem war etwas anderes drin.
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15.01.2004
Kurzes:
15.01.2004
Es werden nur junge, gepflegte Mitarbeiter
mit guten Deutschkenntnissen gesucht.
Ich warte auf alten, ungepflegten Herrn
mit alter, deutscher Rechtschreibung.
04.01.2004
CSU-Generalsekretär Markus Söder fordert für Jugendliche unter 14 Jahren
ein Ausgehverbot, um deren Kriminalitätsrate zu senken. Ich schlage ein lebenslängliches
Ausgehverbot für Männer vor, damit die allgemeine Kriminalitätsrate um 90%
sinkt.
31.12.2003
Der Tücke des Objektes zuvor kommen:
Eigentlich würde ich gerne völlig grundlos, ohne mich groß aufzuregen,
den Monitor gegen die Wand hauen, den laufenden Rechner durch das geschlossene Fenster donnern, die
Regale umschmeißen, jedes Buch mindestens viermal durchreißen, jedes Einzelteil der
Stereoanlage an der Kante meines Schreibtisches in der Mittel knicken und alles was aus Holz ist,
zu ofenfertigen Stücken verarbeiten.
Die Küche ist ein besonderer Fall. Für die nehme ich mir extra einen Tag frei.
22.12.2003
Der Barbier mit dem Bollenhut:
Der Barbier mit dem Bollenhut verursachte viel Geschrei, zumal er nicht viel anderes
anhatte. Es war natürlich keiner, wie die Damen mit roten oder schwarzen Bollen ihn tragen.
Nein, die Teile stammten von seinen Rivalen.
24.12.2003
Das Arschloch:
Da wo die meisten einen Hintern haben, hatte er ein langweiliges Loch. Er versteckte es
so gut es ging. Doch das Loch wollte gesehen werden und kletterte seinen Rücken hoch.
Irgendwann saß es ihm mitten im Gesicht. Seither nennen ihn die Leute nur noch Arschloch.
Internet
Selbst im Traum bin ich oft im Internet. Wenn ich aufwache ärgere ich mich,
daß es doch nur mit dem Computer geht.
08.01.2004
Traum 2:
Es ist früh, ich liege im Bett und träume, daß der Wecker klingelt. Im
Traum stehe ich auf, frühstücke, gehe zur Arbeit, fange an, mache Mittagspause, arbeite
weiter und freue mich auf den Feierabend. Da erwache ich aus meinem Traum. Es ist erst Mittag.
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30.12.2003
Von Äpfeln der Versuchung:
Uns wurde eine alte Botschaft übermittelt, die wir der Einfachheit halber an den
Anfang der Menschheitsgeschichte verlegt haben. Für manche war es ein Mythos, andere glaubten
Wort für Wort daran. Die Botschaft die sie enthielt, verstanden wir nicht. Dieses Problem, wie
man einen einfachen Sachverhalt für alle Zeiten, unabhängig von Kultur und Sprache,
eindeutig vermittelt, sollte uns später erneut beschäftigen.
Von einem bestimmten Baum durften die Früchte nicht gegessen werden, oder es drohte Ungemach.
Es wurde nur dieser Gehorsam gefordert, begründet wurde er nicht und das Ungemach schien
keinen Eindruck zu machen, solange es nur drohte. Weil dann doch so ein Apfel angeknabbert wurde,
soll heute alles so sein, wie es ist.
Äpfel, die eine Versuchung darstellten, gab es immer wieder. Die drohenden Folgen bestanden
darin, daß alles noch schlimmer werden könnte, wie es schon ist. Einige dieser Folgen
können wir heute noch gar nicht abschätzen und sie werden uns nie betreffen. Warum sich
also Gedanken machen? Wenn sich unsere Möglichkeiten unsere Umwelt zu verändern wie
bisher weiter entwickeln, werden wir irgendwann sowieso nicht mehr wissen, wovon das alles kommt.
Immerhin haben wir im Augenblick einen Vorteil davon. Was man hat, das hat man. Das ist in
unsicheren Zeiten nicht wenig.
Wenn wir eines Tage aufgrund der Gentechnik nicht mehr wie Menschen, sondern wie Monster oder nur
noch wie etwas größere Amöben aussehen, ist das doch egal. Das wäre nur dann
schlimm, wenn wir es persönlich miterleben müßten.
Vielleicht war es aus rein philosophischer Sicht ein Fehler, daß wir uns auf die Kerntechnik
eingelassen haben. Immerhin kamen damals beim Abwurf der ersten Atombomben sehr viele Menschen um's
Leben. Doch wer weiß überhaupt noch, wann und wo das war? Es wäre nicht schön,
wenn irgendwann wieder eine Atombombe womöglich hier bei uns hochgeht, zumal diese Dinger
immer weiter verbessert worden sind. Dafür bekommen wir sauberen Strom aus Kernkraftwerken. Es
ist wohl am besten, diese Technik friedlich zu nutzen.
Was machen wir aber mit dem Atommüll? Wenn es nicht eine Verleumdung der Kernkraftgegener ist,
wenn es stimmt, daß dieses Zeug so lange Halbwertszeiten hat, dann ist das ein gewisses
Problem. Vielleicht nicht unseres, aber wie verhindern wir, daß dieses Problem den Menschen in
einer fernen Zukunft nicht zum Verhängnis wird? Vielleicht brauchen wir irgendwann unsere
Kernkraftwerke nicht mehr, weil wir eine bessere Technik zu Energiegewinnung finden oder weil wir
vorhandene Energien besser nutzen können. Dann könnten wir den Atommüll verbuddeln
und vergessen. Was ist aber, wenn er irgendwann von ahnungslosen Menschen wieder ausgegraben
wird?
Ein paar Leute haben zum Spaß über die Frage nachgedacht, wie wir diese Menschen vor den
ihnen drohenden Gefahren warnen könnten. Bis jetzt ist noch niemandem etwas brauchbares
eingefallen. Das ist so ähnlich wie mit den Äpfeln in jener uns überlieferten
Botschaft. Was ist in einer Million Jahren, wenn der Atommüll immer noch gefährlich ist?
Angenommen es gibt dann noch Menschen und keine Monster oder Amöben und angenommen unsere
Schutzbehälter halten überhaupt so lange. Welche Sprache werden diese Menschen verstehen,
wenn sie noch sprechen? Würden sie abstrakte Zeichen richtig deuten und aus welchen Material
müßten wir diese anfertigen? Wenn man darüber ehrlich nachdenkt, ist dieses Problem
mindestens so groß, wie das der abzuwendenden Gefahr?
Jemand hat allen Ernstes vorgeschlagen, eine neue Priesterkaste einzuführen, die das Wissen um
die Gefährlichkeit des Atommülles über die Jahrtausende tradiert. In Anlehnung daran
könnte man über die Entstehung esotherischer Lehren und staatstragender Religionen
spekulieren. Wer weiß, was für verantwortungslose, egoistische Untaten ihnen in
Wirklichkeit zugrunde liegen und der wievielte fehlgeschlagene Versuch einer Zivilisation wir
überhaupt sind.
Etwas Richtiges hat dieser Ansatz jedoch. Unsere vielleicht einzige Chance, das Wissen um die
Gefährlichkeit des Atommülles an zukünftige Generationen weiterzugeben besteht
darin, es nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen. Wie ist dies am sichersten zu
gewährleisten? - Natürlich nur durch eine konsequente weitere Nutzung der Kernkraft.
Damit müssen wir vielleicht ein paar GAUs in Kauf nehmen, die man nie ausschließen kann.
Zum Glück ist bisher nichts besonders Schlimmes bekannt geworden. Vielleicht geht es so
weiter. Vielleicht finden wir irgenwann technische Lösungen, den Müll in
ungefährlichere Stoffe umzuwandeln, so daß es unverantwortlich wäre, ihn jetzt
irgendwo unzugänglich zu lagern. Diese zumindest theoretische Möglichkeit läßt
uns hoffen, daß wir eines Tages über die Beschränktheit unseres Geistes und
über unsere Allmachtsphantasien hinauswachsen. Dann haben wir die Immanenz unseres Schicksales
besiegt. Dann verstehen wir, was es mit den Äpfeln auf sich hat.
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08.01.04
Ein ganzes Leben:
Sterben ist einfach. Wenn es nicht mehr weh tut, fliegst Du nach oben. Ungefähr
zehn Meter. Es sind natürlich keine zehn Meter, weil Du keinen Körper mehr hast.
Jedenfalls siehst Du von da oben runter und siehst, wie alles ohne Dich weitergeht. Die Welt
hört nicht einfach auf. Nur Du bist nicht mehr dabei und kannst nichts mehr regeln.
Vielleicht siehst Du Deinen Körper rumliegen und beobachtest, wie sich andere daran zu
schaffen machen. Du kannst sie nicht davon abhalten. Vielleicht hast Du Deinen Körper spurlos
zerstört und suchst ihn. Er würde Dir nichts mehr nützen, selbst wenn Du ihn intakt
finden tätest. Du bist eben tot.
Du siehst alle möglichen Menschen. Manche trauern und Du kannst sie nicht trösten. Bei
manchen ist es Dir peinlich, anderen würdest Du gerne eine in die Fresse hauen. Nur Wie?
Je länger Du tot bist, desto unwirklicher erscheint Dir die Wirklichkeit, doch Du bist es, der
immer unwirklicher wird. Alles wird immer blasser. Bald sieht für Dich alles wie aus Glas aus,
irgendwann siehst Du nur noch weißes Licht. Du vergißt, wer Du bist und wer Du warst. Du
bist nur noch etwas, für das es nichtmal Worte gibt.
Wenn Dir dieser Zustand ohne Zeit und Gestalt und ohne Name nicht gefällt, spuckst Du Dich
für ein paar weitere Jahre in die eine oder andere Welt zurück. Du fängst ganz
winzig an. Du bist noch niemand und alles ist Dir neu. Erkennst Du Dich als einzelnes Wesen,
schreist Du erstmal vor Schreck. Das gibt sich mit der Zeit. Vielleicht schaffst Du diesmal ein
ganzes Leben.
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© Designed and written by Zacke.
January 2004. |
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